Die geheime Terrororganisation der NATO

 

Gladio bereits vergessen?

Die Advokaten einer weiteren Expansion der grössten Militärmaschine aller Zeiten werden nicht müde, uns die NATO als Garantin für Freiheit und Unabhängigkeit, ja als eigentliche Schule der Demokratie zu verkaufen. Aber ist die NATO wirklich die Mutter allen Menschenglücks, wie das eine millionenschwere Propaganda, von Brüssel wohl orchestriert, uns weismachen will?

 

Von Heinz Moll

Die gesteuerte Kampagne spekuliert auf die Vergesslichkeit der Menschen. Offenkundig mit einigem Erfolg. Wem sagt heute der Begriff «Gladio» noch etwas? Noch bis Ende 1991 war er in aller Munde, nachdem am 17. Oktober 1990 in Rom eine Eiterbeule geplatzt war.

«Gladio» ist italienisch und bedeutet «Kurzschwert». So lautete die Tarnbezeichnung für eine geheime Terrororganisation der NATO. Es war Guilio Andreotti, der sinistre katholische Ministerpräsident Italiens (er steht inzwischen als Pate der Mafia vor Gericht), der die Existenz von «Gladio» öffentlich machte. «Don Guilio» tat diesen Schritt, nachdem in Rom mysteriöse Dokumente aufgefunden worden waren, was einen pflichtbewussten Staatsanwalt, Felice Casson, sowie eine Handvoll Parlamentarier zu unbequemen Fragen animierte. Die heissen Papiere wurden ausgerechnet in jener Wohnung sichergestellt, die der Terrororganisation mit dem täuschenden Namen «Rote Brigade» nach der Entführung von Aldo Moro, dem Parteivorsitzenden und Abgeordneten von Italiens Christlich-Demokraten (DC), im April 1978 als Versteck gedient hatte. Moro wurde nach 55 Tagen Gefangenschaft ermordet, sein Leichnam in einem Auto deponiert, das auf halbem Wege zwischen den Parteizentralen der Christlich-Demokraten und der Kommunisten (PCI) im Zentrum Roms abgestellt war.

 

Compromesso storico

Nur wenige Wochen vor seiner Entführung (sie kostete fünf Leibwächtern das Leben) hatte der moderat konservative Moro sich zur Bildung einer stabilen neuen Regierung unter Einschluss der wählerstarken Kommunisten bereitgefunden: Er war der Repräsentant jenes schmalen Segments der italienischen Machtelite, das den Weg des sogenannten «historischen Kompromisses» zu beschreiten bereit war.

Der Begriff geht auf den überragenden kommunistischen Parteichef Enrico Berlinguer zurück und war Ausdruck einer programmatischen Neukonzeption, in der die Lehren aus dem blutigen Militärputsch der Verrätergeneräle um Pinochet gegen den vom Volk gewählten chilenischen Präsidenten Salvador Allende vom 11. September 1973 gezogen wurden.

 

Bittere Wahrheit

Die Mörder Aldo Moros sind von der italienischen Justiz schon lange rechtskräftig verurteilt. Aber die Auftraggeber und Hintermänner dieses Verbrechens wurden nie ermittelt und erfreuen sich noch immer ihrer Freiheit. Diese bestürzende Aussage machte kein Geringerer als der bald 80-jährige italienische Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro, ein skrupulöser Jurist, am 9. Mai an einer Sondersitzung des italienischen Parlaments zum Gedenken an den vor 20 Jahren ermordeten Politiker.

In der Tat gibt es eine Vielzahl Indizien, die Scalfaros ernüchternden Befund stützen. So ist in Italien seit langem gerichtsnotorisch, dass die «Rote Brigade» und ihr Umfeld - wie in der Bundesrepublik die Bader-Meinhof-Bande - bereits zu einem frühen Zeitpunkt durch die Geheimdienste infiltriert war. Dass der zivile wie der militärische Geheimdienst Italiens in eine ganze Reihe schwerster Verbrechen wie Morde, Bombenattentate, Putschvorbereitungen und Erpressungen verstrickt ist - dies ist durch richterliche Ermittlungen ebenso nachgewiesen wie ihre Verbindungen zur Mafia und zur faschistischen Untergrundloge «Propaganda due» («P2»).

 

Gelli abgetaucht

Deren Pate Licio Gelli, ein ehemaliger SS-Freiwilliger und Vertrauter von Forza-Italia-Boss Silvio Berlusconi, ist übrigens gerade mal wieder untergetaucht - um dem Vollzug einer langjährigen Freiheitsstrafe zu entgehen. Der Schurke wird wohl weiterhin auf die «stille Hilfe» einflussreicher Freunde zählen können.

Seit den 50er Jahren umspannte das geheime NATO-Netzwerk «Gladio» die Staaten Westeuropas. Angeblicher Zweck von «Gladio» war der Untergrundkrieg im Falle einer sowjetischen Besetzung. Hierfür wurde die Geheimarmee im Partisanenkampf ausgebildet, wurden Waffen- und Munitionsdepots angelegt. Die gesamte Aktivität von «Gladio» unterstand einer geheimen Kommandozentrale im NATO-Hauptquartier in Brüssel. Für «Gladio» existieren keine gesetzlichen Grundlagen. Folgerichtig entzog sich die Organisation auch jeder demokratischen Kontrolle. Weder über die Methoden ihrer Finanzierung noch über ihre Truppenstärke ist etwas verlässliches bekannt.

 

SS-Killer reaktiviert

Was über die zweifelhafte Geheimarmee seit ihrer Entlarvung bekannt geworden ist, haben fünf Autoren akribisch zusammengetragen: Jens Mecklenburg, Markus Perner, Dario N. Azzellini, Olaf Goebel und Klaus Zellhofer. Sie weisen nach, dass die «Gladio»-Truppe sich von ihrem selbst gestellten ursprünglichen Auftrag rasch entfernt und sich in krimineller Manier in die innenpolitische Auseinandersetzung der jeweiligen Länder eingemischt hat. So wird eine ganze Reihe von Terrorakten der letzten Jahrzehnte in Europa «Gladio» angelastet, insbesondere in Italien und der Türkei. Dabei passt es ins Bild, dass in der Bundesrepublik und in Österreich gezielt ehemalige Angehörige der SS für den Dienst rekrutiert wurden. In Italien verpflichteten die NATO-Verantwortlichen ehemalige Parteigänger der Mussolini-Faschisten für ihre subversive Arbeit. Dass die «alten Kameraden» wiederum den ihnen gemässen Nachwuchs heranzogen, vermag nicht sonderlich zu überraschen. Die NATO als Schule der Demokratie!

Jens Mecklenburg (Hg.): Gladio. Die geheime Terrororganisation der NATO. Elephanten Press, Berlin 1997, 142 Seiten, Fr. 24.40, ISDN 3-88520-612-9